Der Fischteich-Effekt / Big-Fish-Little-Pond-Effect

Lesezeit: 3 Min.
| Author: Tom Schweitzer

Es gibt zwei Wege, mehr Applaus und mehr Beachtung für eine Präsentation zu ernten: Entweder Sie halten tatsächlich ein brillante Rede. Das ist der anstrengendere Weg. Oder aber Sie versuchen, nach einem möglichst schwachen Vorredner aufzutreten.

Zugegeben, man weiß das nicht immer im Voraus, und bei einigen Kongressen oder Events ist der Einfluss auf das Vortragstiming allenfalls marginal. Aber wo immer die Möglichkeit besteht, sollten Sie zusehen, nach einer eher schwachen Vorrede oder einem langweiligen Thema dranzukommen. Nicht nur, weil die Zuschauer und Zuhörer enorm dankbar sein werden für den willkommenen Weckdienst aus dem Wachkoma. Dahinter steckt ebenso ein mächtiger psychologischer Effekt, den Fachleute auch den „Fischteich-Effekt“ oder „Big-Fish-Little-Pond-Effect“ nennen.


Was ist der Fischteich-Effekt?

Stellen Sie sich dazu einen kleinen Teich vor: Ein großer Fisch wird darin mehr auffallen als in einem Ozean. Und umgeben von vielen kleinen Fischen wirkt der große Fisch im kleinen Tümpel obendrein auch noch viel imposanter.

Und genau diese Wirkung lässt sich in allerlei Lebenslagen zunutze machen.

Beispiel Schule: Wer sein Kind in eine Klasse mit lauter Hochbegabten steckt, tut dem Spross höchstwahrscheinlich keinen Gefallen, sondern setzt ihn stattdessen enormem Leistungsdruck aus. „Psychologisch betrachtet, sind Hochbegabtenklassen eine große Belastung“, sagte etwa der Berliner Psychologieprofessor Ralf Schwarzer in einem ‚Zeit’-Artikel. Die Schüler könnten sich dann nicht mehr „sonnen im Licht der Leistungsverteilung.“

Umgekehrt entwickelten Kinder in einer Klasse mit leistungsschwächeren Mitschülern eine höhere Lernmotivation, denn ihre Talente fallen dort umso mehr auf, werden besser bewertet, was sie nur noch mehr anspornt. Es gibt Bildungsexperten, die Eltern deshalb vom Prinzip „Gymnasium um jeden Preis“ dringend abraten – insbesondere bei Schülern, deren Selbstbewusstsein nicht allzu stark ausgeprägt ist.

Selbstverständlich setzt sich dieser Effekt auch im Berufsleben fort: Der US-Bestseller-Autor Malcolm Gladwell hat dazu gerade ein neues Buch geschrieben – „David and Goliath“. Auch darin rät er Berufsanfängern (ebenso wie Fachkräften) nicht unbedingt an Elite-Schulen zu studieren oder später ausschließlich in einer namhaften Top-Company anzuheuern. Zumindest nicht am Anfang, wenn man noch keine weitreichende vorzuweisen Reputation hat. Denn zwischen all den anderen Elite-Absolventen und Top-Talenten kann man selbst kaum glänzen.

Entsprechend sei es viel cleverer, sich erst einmal einen „kleinen Teich“ zu suchen, sich dort einen Namen zu machen und dann mittels vorauseilendem Ruf wesentlich schneller aufzusteigen. Vielleicht können Sie bei einem späteren Jobwechsel dann nicht unbedingt mit einem renommierten Ex-Arbeitgeber leuchten – die sichtbaren Erfolge, die Sie dank der Strategie bisher jedoch erzielen konnten, strahlen in Ihrem tabellarischen Lebenslauf in der Bewerbung umso heller.


Ein kleiner Redetrick zum Schluss

Und eben diesen Effekt können Sie sich genauso bei Präsentationen zunutze machen. Falls es mit der richtigen Reihenfolge und Präsentationsdramaturgie trotzdem nicht klappt, gibt es noch einen weiteren (fiesen) Trick, wie Sie einen womöglich noch brillanteren Nachredner zumindest etwas dimmen können:

Zählen Sie einen Countdown herunter!
Angenommen, Sie halten eine 30-minütige Präsentation: Dann weisen Sie Ihr Publikum alle 10 Minuten ganz charmant auf Ihren Nachfolger hin, Motto:

  • „Übrigens, noch 20 Minuten bis zu dem Vortrag von…
  • „Übrigens, noch 10 Minuten bis zu dem Vortrag von…
  • „Freuen Sie sich jetzt auf den Vortrag von…

Richtig eingeschoben, wirkt der Countdown nicht nur sehr bescheiden und wie eine nette Geste gegenüber Ihrem Nachredner. De facto bauen Sie eine solche Erwartungshaltung an eine noch großartigere Rede auf, der kaum ein Präsentäter gewachsen sein wird. Bildlich gesprochen machen Sie seinen Teich immer größer… Folge: Der arme Hecht kann darin nur untergehen – und Sie als charmanter Anchor wirken umso überzeugender.

Gewiss, eine fiese Falle. In manchen Meetings aber ungeheuer hilfreich…


Über den Autor

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Jochen Mai ist Autor, Social Media Manager und zählt seit Jahren zu den einflussreichen Namen des Social Webs. Sein Portal Karrierebibel.de gehört heute zu den deutschen Top-Blogs mit mehr als 40.000 Lesern am Tag. Mai ist Dozent an der Fachhochschule Köln für das Fach Social Media Marketing und regelmäßiger Kolumnist sowie gefragter Keynote-Speaker für die Themen Social Media, Medien, Online-Reputation und Employer Branding.